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Stabilisierung oder Herausforderung - die Automobilindustrie im Wandel

24.06.2024

Die Automobilindustrie befindet sich in einem intensiven Wandlungsprozess. Neue Vorschriften, technologische Veränderungen, Umweltschutzauflagen oder die Situation auf dem Arbeitsmarkt sind nur einige der Herausforderungen, denen sie sich derzeit stellen muss.

Dieser Prozess vollzieht sich in einem schwierigen Wettbewerbsumfeld angesichts des zunehmenden Drucks durch asiatische Hersteller. In Polen ist der Automobilbereich ein besonders wichtiger Industriezweig und ein bedeutender Arbeitgeber.

Die aktuelle Lage der Branche, die wichtigsten Herausforderungen für die kommenden Jahre und mögliche Lösungen diskutierten Experten bei der Konferenz "Automobilindustrie: Stabilisierung oder Herausforderungen?", die das Regionalbüro der AHK Polen am 19. Juni in Kattowitz veranstaltete.

Die Automobilindustrie ist seit Jahren ein wichtiger Zweig der polnischen Wirtschaft, mit engen Verbindungen zu deutschen Automobilherstellern. Die größten deutschen Konzerne sind hier vertreten, aber auch die Zuliefererindustrie, die sich auf lokale Unternehmen stützt, ist in Polen besonders gut entwickelt. Allein zwischen 2021 und 2023 haben deutsche Unternehmen 1,5 Milliarden PLN (ca 330 Mio. EUR) in Polen investiert und 3.000 Arbeitsplätze geschaffen (PAIH-Daten).

In den letzten Jahren sah sich die Branche mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert zu denen technologische Herausforderungen (u.a. die Entwicklung neuer Antriebssysteme, die den Umweltanforderungen entsprechen), die Versorgung mit Rohstoffen sowie die Volatilität der Märkte und neue Risiken im Zusammenhang mit der geopolitischen Lage gehören.

Die E-Mobilität wird einer der wichtigsten Transformationspfade sein. Gleichzeitig muss parallel an anderen Technologien gearbeitet werden, die komplementär eingesetzt werden sollten, wie z.B. Wasserstoffantrieb oder die Verwendung von Biokraftstoffen. Die führende Technologie der Zukunft ist unter den verfügbaren Lösungen gerade erst im Entstehen begriffen, was eine Anpassung und umfassende Planung erfordert.

Ab 2035 sollen alle in der Europäischen Union neu zugelassenen Autos emissionsfrei sein. Derzeit werden Verordnungen umgesetzt, um den Markt auf diese Veränderungen vorzubereiten. Die AFIR-Verordnung, die die Entwicklung der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe betrifft, ist in Polen seit April dieses Jahres in Kraft. Sie sieht unter anderem den Bau von Schnellladestationen für Pkw und Lkw sowie Wasserstofftankstellen entlang der wichtigsten EU-Verkehrskorridore (das so genannte transeuropäische Verkehrsnetz TEN-T) vor. Der Nationale Fonds für Umweltschutz und Wasserwirtschaft (NFOŚiGW) hat dafür mehr als 800 Millionen PLN bereitgestellt.

Die an der Konferenz teilnehmenden Experten waren sich einig, dass der rasche Ausbau der Infrastruktur, ihre angemessene Gestaltung (auch unter Berücksichtigung lokaler Ladestationen, z. B. in Unternehmen oder für private Nutzer) und die Erhöhung der Kapazität der Ladestationen für die Entwicklung der Elektromobilität in unserem Land von zentraler Bedeutung sind.  

Der regulatorische Druck (die Notwendigkeit, Elektroautos in den städtischen Verkehr einzubeziehen, andere kommunale Anwendungen) kann den Wandel in dieser Hinsicht unterstützen. Ein Beispiel ist der städtische Nahverkehr - ab 2025 werden Dieselbusse in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern nicht mehr zugelassen sein.

Auch die Sensibilisierung der Kunden ist wichtig. Auf Unternehmensebene ist die Ausgewogenheit der Kosten über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs unter Berücksichtigung der spezifischen Verwendungszwecke und Faktoren wie dem Restwert entscheidend. Letzterer ist ein wichtiges Thema, wobei es derzeit schwierig ist, eine genaue Schätzung dieses Wertes vorzunehmen, da Elektrofahrzeuge noch selten als Gebrauchtwagen in Umlauf kommen. Die lokalen Behörden weisen jedoch darauf hin, dass sie es sich nicht leisten können, EV-basierte Lösungen in größerem Umfang in kommunalen Anwendungen (z. B. Müllabfuhr usw.) einzuführen.

Eine schnellere Elektrifizierung der Fahrzeugflotte in Polen bedarf daher nach Ansicht von Experten einer gezielten Förderung, nicht zuletzt wegen der hohen Kosten für die Fahrzeugbeschaffung. Das Marktpotenzial ist groß: viele Menschen sind bereit, den Kauf eines Elektroautos in Betracht zu ziehen, wenn die richtigen Bedingungen erfüllt sind.

Die Hoffnung auf eine Beschleunigung des Transformationsprozesses in diesem Bereich ist mit der Umsetzung von EU-Geldern aus dem Wiederaufbaufonds verbunden. Unter anderem wird eine Unterstützung für den Kauf von gebrauchten Elektrofahrzeugen diskutiert. Michal Wekiera, Generaldirektor des PZPM, wies jedoch auf die mit einer solchen Lösung verbundenen Risiken hin. Schon heute ist das Verhältnis von Gebrauchtwagen zu Neuwagen auf dem polnischen Markt ungünstig (2:1), und das in Erwägung gezogene Programm könnte dieses Missverhältnis noch verschärfen. Dies ist umso riskanter, als der technologische Fortschritt bei Elektrofahrzeugen sprunghaft voranschreitet, was zu einem sehr großen Abstand zwischen den aufeinander folgenden Fahrzeuggenerationen führt. Eine Investition in Gebrauchtwagen könnte daher langfristig negative Folgen haben. 

Es wurde auch auf die Notwendigkeit einer umfassenden Prozessplanung hingewiesen, sowohl auf Unternehmensebene als auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Beim Aufbau von Flotten lohnt es sich, über das "zweite Leben" von Batterien (Energiespeicherung) und die End-of-Life-Phase (Recycling, Ressourcenrückgewinnung) nachzudenken. In diesem Bereich gibt es ein großes Potenzial, und einige polnische Unternehmen sind bereits auf diesem Markt tätig, wie z. B. die Elemental Group. Es ist erwähnenswert, dass die Abfallwirtschaft in der Automobilindustrie in Polen seit über 30 Jahren geregelt ist, und dies gilt auch für Autobatterien aus Elektrofahrzeugen.

Das Thema der Dekarbonisierung im Schwerlastverkehr ist komplex und sollte in engem Zusammenhang mit der Art und Weise betrachtet werden, wie ein Betreiber arbeitet. In der Transportbranche gibt es sowohl Unternehmen mit einem einzigen Fahrzeug als auch Betreiber von großen Flotten.

Ein anderes Thema ist der Stadtverkehr. Busse, die eine relativ geringe tägliche Fahrleistung haben und über Nacht zu ihrem Standort zurückkehren, eignen sich besser für den Elektroantrieb als Fahrzeuge, die im Fernverkehr eingesetzt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wasserstoffbasierte Technologien auch im städtischen Busverkehr einen wichtigen Beitrag leisten werden. Artur Konarski, CEO von Daimler Busses Polen, betonte, wie wichtig es ist, die Lösung auf den einzelnen Kunden zuzuschneiden und dabei auch Faktoren wie die lokalen Gegebenheiten zu berücksichtigen (z. B. die Möglichkeit, überschüssige Energie aus erneuerbaren Energien an einem bestimmten Standort zu nutzen). Entscheidend bei der Planung der Ziellösung sind die Organisation der gesamten Infrastruktur (insbesondere in Ballungsräumen wie z.B. in Schlesien), das Ladenetz und die Entwicklung eines Fahrzeugservicekonzeptes, das z.B. einen auf Elektrofahrzeuge abgestimmten Betriebshof berücksichtigt.  Daimler Busses sieht seine Aufgabe daher nicht als Lieferant eines Produktes (Fahrzeug), sondern des gesamten öffentlichen Verkehrssystems, der den Empfänger bei der Entwicklung eines Gesamtprojektes unterstützt.

Angesichts des laufenden Wandels setzt MAN Truck & Bus Polska auf ein möglichst vielfältiges Lösungsangebot und bietet den Kunden ein breites Portfolio mit verschiedenen parallel verfügbaren Antrieben. So können optimale Lösungen für unterschiedliche Kundenbedürfnisse angeboten werden, betonte Marcin Grabowski, Leiter des Busvertriebs. Er wies auch darauf hin, dass sich Produkte schnell weiterentwickeln und Änderungen noch während des Lebenszyklus eines bestimmten Fahrzeugs eingeführt werden. Die Softwareoptimierung ermöglicht es, die Kosteneffizienz eines Fahrzeugs deutlich zu steigern, und kann laufend durchgeführt werden. Piotr Śladowski, CEO von ARP E-Vehicles, sprach ebenfalls über den schnellen technologischen Wandel. Das polnische Unternehmen hat ein eigenes Elektrobusprojekt entwickelt, bei dem durch optimierte Lösungen innerhalb von drei Jahren eine Senkung des Energieverbrauchs pro Kilometer um 25 % erreicht wurde. Es schlägt auch Lösungen vor, um die Reichweite von Elektrofahrzeugen dank eines Wasserstoff-Extenders zu verdoppeln. Angesichts der Forderung, ab 2025 vom städtischen Verkehr mit Verbrennungsmotoren wegzukommen, wurden die Erfahrungen mit dem Einsatz von wasserstoffbetriebenen Stadtbussen von Łukasz Kosobudzki, dem Vorsitzenden des öffentlichen Verkehrs in Rybnik, erörtert. Er wies darauf hin, dass es jetzt notwendig ist, verschiedene Antriebsarten zu kombinieren: Elektro- oder Wasserstoffantrieb (Busse), reiner Elektroantrieb ("letzte Meile") und beispielsweise Wasserstoff in Kombination mit Verbrennungsmotoren (Schwerlastverkehr, Langstrecken).

Auf europäischer Ebene stellt der Wettbewerbsdruck durch asiatische Unternehmen eine große Herausforderung dar. Niedrigere Energie- und Arbeitskosten, niedrigere Umweltstandards und großzügige staatliche Subventionen für diese Unternehmen schaffen eine ungleiche Wettbewerbsposition, zum Beispiel bei öffentlichen Ausschreibungen, bei denen der Preis eine wichtige Rolle spielt. Die Pläne der Europäischen Kommission, Fahrzeuge aus China mit einer 38-prozentigen Verbrauchssteuer zu belegen, haben jedoch auch in Europa Gegner. Jan Cholewa vom Verband der Automobilindustrie wies auf die Bedeutung der Vernetzung der Branche auf globaler Ebene hin. Dank des Freihandels haben die europäischen Unternehmen Zugang zum riesigen chinesischen Markt. Außerdem ist China nicht nur ein Konkurrent, sondern auch ein wichtiger Kunde europäischer Unternehmen - Zulieferer - und ein Investor in europäischen Ländern. Luk Palmen, Geschäftsführer von Silesia Automotive & Advanced Manufacturing, wies auf die Folgen der CSRD-Vorschriften hin, die grüne Energie fördern (in Polen verringert ein ungünstiger Energiemix unsere Wettbewerbsfähigkeit). Regionale Zusammenarbeit, wie die Schaffung von Energieclustern, könnte eine Lösung sein.

Zu den Wettbewerbsbedrohungen gehören auch der schlechtere Zugang zu Mitarbeitern (70-80 % der europäischen Unternehmen erklären, dass sie mehr produzieren könnten, wenn sie Personal hätten) und die steigenden Arbeitskosten. Polen wird in einigen Bereichen zu einem teureren Standort als Griechenland, Spanien oder Portugal.

Die E-Mobilität kann auch eine Bedrohung für die polnischen Unternehmen der Automobilzulieferbranche darstellen, die bisher vor allem auf Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ausgerichtet sind. Elektroautos haben ca. 30 Prozent weniger Teile, betonte Tomasz Bęben, CEO des Verbands der Ersatzteilhändler und -hersteller. Für diese Unternehmen, bei denen es sich häufig um KMU handelt, kann sich die Umstellung als große Herausforderung erweisen, die strategische Änderungen erfordert. Produktivitätssteigerungen oder die Einführung von Automatisierung können die Lösung sein, aber für kleinere Unternehmen können diese Investitionen im Verhältnis zu ihren Ressourcen zu teuer sein.

Der Preis ist nach wie vor ein entscheidender Wettbewerbsfaktor auf dem Markt: Laut einer McKinsey-Studie erklärten 50 % der europäischen Hersteller von Automobilteilen und -komponenten, dass sie in dieser Hinsicht nicht mit den chinesischen Herstellern konkurrieren können.

Innovation kann die Position der europäischen Unternehmen stärken. Europäische Konzerne investieren stark in sie, auch um ihre Unabhängigkeit zu sichern, so Piotr Nowak, Business Development Manager Key Solutions.

Eine weitere Strategie besteht darin, in China als Kundenmarkt zu investieren. VW hat dort ein Entwicklungszentrum eröffnet, um seine Produkte an die Erwartungen der lokalen Kunden anzupassen, die im Durchschnitt viel jünger sind als in Europa. Französische Unternehmen gründen Joint Ventures mit chinesischen Unternehmen in Frankreich. Ein wunder Punkt sind die hohen Energiekosten in den europäischen Ländern - hier erwarten die Unternehmen entschiedene Schritte der Regierungen, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu unterstützen.

Die Experten vertraten die Ansicht, dass der Automobilsektor stark globalisiert ist und ein Handelskrieg mit China die Situation im gesamten Sektor verschlechtern würde. Es sollten andere Methoden der Unterstützung in Betracht gezogen werden, um das Wettbewerbsungleichgewicht auszugleichen, den Erhalt qualifizierter Humanressourcen in Europa zu gewährleisten und in Innovation und Produktivitätssteigerung zu investieren. Vor allem sollten strategische Bereiche definiert und entsprechend unterstützt werden. Vielfalt ist der Schlüssel zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit und zur Schaffung von mehr Sicherheit für den Sektor.

Die Teilnehmer der Konferenz wiesen darauf hin, dass eine größere Widerstandsfähigkeit während des Übergangs durch strategische Planung und den optimalen Einsatz von Technologie erreicht wird. Dazu kann die Einführung von Automatisierung gehören, wobei der Schlüssel, wie Krzysztof Gablankowski, Werksleiter des ZF-Konzerns, betonte, in der Fähigkeit liegt, Lösungen an den tatsächlichen Bedarf anzupassen. Ein weiterer Bereich ist die Planung von Produktionshallen, wo durch architektonische Lösungen und den Einsatz grüner Energiequellen die ESG-Anforderungen erfüllt und die Kosten gesenkt werden können, wie Bogi Grabovic von Poland CTP betonte. Es lohnt sich auch, ein Energieaudit des Unternehmens durchzuführen, das zur Optimierung des Energieverbrauchs beitragen kann, riet Jakub Roszkiewicz von E.ON Polska Solutions.

Auch die Bewusstseinsarbeit bleibt wichtig. In der Tat sind 54 Prozent der KMU der Meinung, dass das Thema ESG-Berichterstattung "wenig wichtig" oder es "schwer zu sagen" ist, wie wichtig es für ihr Unternehmen ist. Mangelndes Wissen über die Folgen einer solchen Regulierung bedeutet im Nachhinein einen erschwerten Zugang zu Finanzmitteln, eine schwächere Wettbewerbsposition und einen allmählichen Verlust des Marktes.

Der Aufbau eines Bewusstseins für die Herausforderungen und die Entwicklung einer Strategie zu ihrer rechtzeitigen Bewältigung sowie das Zusammenspiel der vielen Akteure auf dem Automobilmarkt sind von entscheidender Bedeutung, wenn die Automobilindustrie in den Prozessen des derzeitigen Wandels eine starke Position behalten soll.