Verträge in Zeiten von Covid-19. Was tun?

Die derzeit herrschende Epidemie bewirkt, dass die Wirtschaft in ganz Europa auf wesentliche Schwierigkeiten stößt.

© Getty Images/Paul Bradbury

Autor: Jerzy Lubaś

Auf der einen Seite werden Rechtsakte erlassen, welche die Führung der Wirtschaftstätigkeit begrenzen (in Polen wurden z.B. Einschränkungen für die Transporttätigkeit, den Einzelhandel oder Restaurants eingeführt). Andererseits ergeben sich Schwierigkeiten allein aus der faktischen Lage, welche das Covid-19 Virus mit sich gebracht hat. Dies sind etwa Versorgungsschwierigkeiten oder die plötzlich verringerte Nachfrage einer ganzen Reihe von Gütern und Dienstleistungen, deren übliche Erwerber sich derzeit mit anderen Dingen befassen, oder Maßnahmen, die zur Minimierung des Risikos einer Ansteckung in der Belegschaft eines Unternehmens führen sollen. Trotz der Informationen, die uns immer wieder aus Asien über das neue Virus und die drastischen Maßnahmen zu seiner Bekämpfung erreicht haben, ist praktisch niemand völlig auf eine solche Situation vorbereitet. Viele Unternehmen sind daher in eine Lage geraten, in der sie an Verträge gebunden sind, deren Erfüllung ihnen äußerst schwierig und manchmal sogar unmöglich geworden ist bzw. ihren wirtschaftlichen Sinn verloren haben.

Erstens: Wachsamkeit

Der Hinweis, dass Unternehmen unter den neuen Umständen bereits geschlossene Verträge nochmals aus dem Blinkwinkel der Möglichkeit und Zweckmäßigkeit ihrer Erfüllung prüfen sollen, mag banal sein. Jedoch darf eine solche Prüfung nicht das Ende sein. Vielmehr muss auch geprüft werden, ob diese Verträge Bestimmungen enthalten, welche die Haftung im Falle der Nichterfüllung regeln. In Ermangelung solcher Bestimmungen haftet die verpflichtete Partei grundsätzlich lediglich für die Einhaltung der gebotenen Sorgfalt. Möglich ist aber, dass ein Vertragspartner vertraglich die Haftung für von ihm unabhängige Umstände übernommen hat. Wesentlich sind zudem auch Bestimmungen über Vertragsstrafen. Derartige Regelungen sind unbedingt zu prüfen, um Risiken zu identifizieren und weitere Schritte zu planen.

Darüber hinaus sind vertragliche Regelungen zu außerordentlichen Umständen oder zur sog. höheren Gewalt zu prüfen. Diese können Auswirkungen auf den Vertrag aufgrund von neu eingetretenen Umständen vorsehen, die Parteien verpflichten, Verhandlungen zur Anpassung des Vertrages an die neuen Umstände zu führen oder ein Recht einräumen, vom Vertrag zurückzutreten, bzw. diesen mit Wirkung für die Zukunft aufzulösen. In einigen Fällen kann ein Vertrag bereits aufgrund von Bestimmungen, welche eine höhere Gewalt, geschweige denn eine Coivid-19-Pandemie noch gar nicht erfordern gekündigt oder durch Rücktritt aufgelöst werden. Die identifizierten Risiken im Auge haltend, ist dann eine Entscheidung zu treffen, von den entsprechenden Rechten Gebrauch zu machen oder nicht.

Man kann des Weiteren nicht ausschließen, dass Verpflichtungen der Parteien des konkreten Vertrages aus dem Grund erloschen sind, weil die Vertragserfüllung aufgrund der neu eingetretenen Umstände unmöglich geworden ist. Das wird jedoch eine eher seltene Ausnahme sein, denn die Unmöglichkeit muss nämlich objektiver Natur (d.h. nicht nur den Schuldner sondern auch alle anderen betreffen) und dauerhaft sein. Die Leistung darf also nicht in einem anderen Zeitraum möglich sein. Ein Beispiel für eine derartige Situation ist etwa die Abhaltung einer konkreten Konferenz, die an einem bestimmten Tag stattfinden muss und welche infolge der Einschränkungen aufgrund der Verordnung des Gesundheitsministers über das Bestehen einer Epidemiegefahr nicht an diesem bestimmten Tag stattfinden durfte.

Zweitens: Vorsorglichkeit

Bei der Prüfung der Frage nach der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung stellt sich im nächsten Schritt die Frage nach den Folgen ihrer Nichterfüllung. Mangels entsprechender Vertragsbestimmungen ist anzunehmen, dass die gegenwärtige außergewöhnliche Lage die gegenseitigen Pflichten der Parteien per se nicht modifiziert. Wird der Vertrag nicht erfüllt, muss festgestellt werden, ob und wer für diese Nichterfüllung haftet.

Wie bereits erwähnt, ist eine Vertragspartei in den meisten Fällen lediglich zur Einhaltung der gebotenen Sorgfalt verpflichtet. Ergibt sich die Nichterfüllung eines Vertrages aus Umständen, die außerhalb der Kontrolle dieser Partei liegen, wie etwa unvorhersehbare Schwierigkeiten beim Erwerb eines Rohstoffes oder die Unmöglichkeit der Vornahme bestimmter Handlungen im Zusammenhang mit rechtlichen Einschränkungen (z.B. im Hinblick auf den Personenverkehr auf dem Gebiet des Staates), werden regelmäßig keine Grundlagen einer Haftung für die Nichterfüllung der Verpflichtung entstehen. Man kann wohl auch die Ansicht vertreten, dass ein Unternehmen nicht schuldhaft (sorgfaltswidrig) handelt, welches seinen Verpflichtungen aus dem Grund nicht nachkommt, weil es die Arbeit in seinem Betrieb so organisiert, dass ein Risiko der Virenverbreitung minimiert wird.

Folge der Haftung für die Nichterfüllung des Vertrages ist grundsätzlich die Pflicht, den Schaden zu ersetzen, welchen die Gegenpartei aufgrund der Nichterfüllung erlitten hat. Bestehen Umstände, welche die Haftung ausschließen, wie in dem oben erwähnten Beispiel, ist unbedingt daran zu denken, diese Umstände zu dokumentieren. Das kann insbesondere im Hinblick auf ein etwaiges Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit der Vertragserfüllung, in welchem zudem die Möglichkeit, Zeugen anzuhören, gegenwärtig wesentlich begrenzt ist, nützlich sein.

An dieser Stelle sei kurz darauf hingewiesen, dass eine Verspätung bei Erfüllung von Geldschulden die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen mit sich bringt, und zwar unabhängig davon, ob die Verspätung aus Umständen resultiert, welche der Schuldner verschuldet hat oder nicht.

Unabhängig von der Frage nach der Entstehung der Haftung und deren Umfang ist es ratsam, den Vertragspartner von Problemen, welche die Vertragserfüllung gefährden, zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung wird der Gegenseite die Möglichkeit geben, auf die eingetretene Situation zu reagieren und u.U. einen Schaden zu minimieren. Eine Benachrichtigung kann sogar Grundlage für den Ausschluss einer Schadensersatzpflicht sein, wenn diese Benachrichtigung dem Vertragspartner eine Reaktion ermöglicht, den Schaden zu vermeiden. Der Inhalt einer solchen Benachrichtigung muss jedoch gut bedacht werden. Begrenzt er sich nämlich auf eine bloße Information, dass die Verpflichtung nicht erfüllt wird, kann bei der Gegenpartei das Recht zum Rücktritt vom Vertrag entstehen, was nicht immer von Vorteil sein wird.

Ist die Erfüllung einer Verpflichtung durch die Gegenpartei wegen ihrer Vermögenslage, in welche diese im Zusammenhang mit den Folgen der Pandemie geraten ist, zweifelhaft, sollte man eine Zurückhaltung der eigenen Leistung bis zum Zeitpunkt, wenn die Gegenpartei ihre Leistung oder eine Sicherheit anbietet, in Erwägung ziehen.

Drittens: Initiative

Anstelle auf eine weitere Entwicklung passiv zu warten, kann man versuchen, den Inhalt des die Parteien bindenden Vertrages zu ändern. Grundsätzlich bedarf eine solche Änderung einer Vereinbarung beider Vertragsparteien. Stimmt jedoch die Gegenpartei einer solchen Änderung nicht zu, kann man u.U. von einem Rechtsinstitut Gebrauch machen, welches Fälle betrifft, wenn besondere Umstände zur Folge haben, dass es einer Partei nicht zugemutet werden kann, sich gemäß den früher eingegangenen Verpflichtungen zu verhalten. Dieses Rechtsinstitut, das gegenwärtig breit diskutiert wird, ist die Klausel der außerordentlichen Änderung der Umstände, d.h. die sog. rebus sic stantibus – Klausel.

Eine Änderung des Vertrages erfolgt in diesem Fall durch Gerichtsurteil. Die Änderung kann sowohl in der Reduzierung der Leistung (einer) der Parteien, Teilung der Leistung, Verschiebung der Fälligkeit oder sogar in der Auflösung des Vertrages bestehen, der unter den neuen Umständen seinen wirtschaftlichen Sinn verloren hat. Eine solche Gerichtsentscheidung kann ergehen, wenn das Gericht zum Schluss kommt, dass eine außerordentliche Änderung der Umstände eingetreten ist, die nicht vorherzusehen war, und diese Änderung bewirkt hat, dass die Erfüllung des Vertrages auf die bisherige Art und Weise zu schwierig oder mit einem groben Verlust für eine der Vertragsparteien verbunden wäre.

Es bestehen wohl keine Zweifel daran, dass die gegenwärtige Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen eine außerordentliche Situation darstellen. Eine kompliziertere Frage ist jedoch bereits, ob diese Situation vorhersehbar war. Die COVID – 19 Pandemie als solche konnte man, zumindest auf der Etappe des Vertragsschlusses, bevor sich die Nachrichten aus Asien über das neue Virus verbreitet haben, schwerlich erwarten. Fraglich ist aber, ob bei Verträgen mit standardmäßigen Klauseln über die höhere Gewalt von Parteien, die Unternehmer sind, nicht erwarten werden kann, vorherzusehen, dass außerordentliche Änderungen der Umstände eintreten können und die Erfüllbarkeit bzw. die Zweckmäßigkeit der einzelnen Verpflichtungen beeinflussen werden.

Die meisten Kontroversen werden jedoch bei der Festlegung der zu großen Schwierigkeiten einer Leistungserbringung oder des damit verbundenen groben Verlustes bestehen. Eine zu große Schwierigkeit bei der Erbringung einer Leistung wird vorliegen, wenn diese Erbringung einer Handlung bedarf, die zu einer Lebens- oder Gesundheitsgefährdung führen kann (z.B. im Zusammenhang mit einer Covid-19-Ansteckung) oder deren Vornahme unverhältnismäßige Kosten nach sich ziehen würde (z.B. im Zusammenhang mit dem Fehlen von bestimmten Waren oder Arbeitsressourcen auf dem Markt). Sofern die derzeitige Lage nicht eskalieren wird, dürften solche Fälle aber eher selten sein.

Häufiger wird jedoch eine Situation sein, in welcher angesichts der eingetretenen Lage die Erfüllung des Vertrages in seiner ursprünglichen Gestalt mit einem groben Verlust verbunden wäre. Es geht dabei um Fälle, wenn sich unter den neuen Umständen der Wert der gegenseitigen Leistungen nun in einem groben Ungleichgewicht befindet oder die Leistung einer Vertragspartei ihre Bedeutung verloren hat. Als ein Beispiel kann hier ein Vertrag über Reinigungsarbeiten in geschlossenen Restaurants oder geschlossenen Einkaufsobjekten genannt werden.

Es ist darauf hinzuweisen, dass ein Unternehmen sich auf die rebus sic stantibus-Klausel nicht berufen kann, wenn sich bereits im Vertrag eine Bestimmung befindet, welche andere Folgen einer außerordentlichen Änderung der Umstände vorsieht.

Es ist offensichtlich, dass das Erwirken eines rechtskräftigen Urteils einige Zeit in Anspruch nehmen wird, was unter den derzeitigen Umständen ein Schlüsselfaktor sein kann. Jedoch gibt es dafür Abhilfe. Noch bevor ein Unternehmen das Gerichtsverfahren zur Anwendung der rebus sic stantibus-Klausel einleitet, kann es eine Sicherung der Forderung erlangen, welche in dem angestrebten Gerichtsverfahren geltend gemacht werden sollen. Über eine solche Angelegenheiten wird dann in einem beschleunigten Verfahren entschieden. Der Gerichtsbeschluss kann ohne Beteiligung der Gegenpartei erlassen werden und es genügt für diesen Beschluss, dass der Anspruchsteller die Forderung glaubhaft gemacht hat. Eine solche Sicherung kann auch die Rechte und Pflichten der Parteien für die Zeit des Gerichtsverfahrens in der Hauptsache gestalten.

Eine ähnliche Bestimmung wie die rebus sic stantibus- Klausel besteht im Übrigen bereits gesetzlich im Hinblick auf Pachtverträge. In diesem Bereich braucht die Änderung der Umstände, welche einen negativen Einfluss auf die Rentabilität des Pachtvertrages hat, keinen außerordentlichen Charakter haben.

Viertens: nochmals Wachsamkeit

Die obigen Anmerkungen haben einen allgemeinen Charakter. Es bestehen bereits Regelungen, welche auf eine detaillierte Art und Weise die Folgen der entstandenen Situation für Verträge in der Touristik- und Transportbranche bestimmen. Im Rahmen des geplanten sog. Antikrisenschildes sollen weitere detaillierte Regelungen eingeführt werden, welche z.B. Mietverträge betreffen werden. Die angedachten und erlassenen weiteren Rechtsakte werden in einem noch größeren Umfang die Wirtschaftstätigkeit beeinflussen und zur Folge haben, dass die Beurteilung der Zweckmäßigkeit und der Möglichkeit einer Erfüllung von bestimmten Verträgen sich innerhalb von Tagen ändern kann. Im Bereich der wesentlichen rechtlichen Regelungen kann sich viel ändern. Aus diesem Grund ist hier weiter Wachsamkeit zu bewahren.

Autor

 

Jerzy Lubaś

Senior Associate
Pietrzak Bogen sp. j.
http://www.psblegal.eu/startseite/