Interview mit Claus Wallenstein, Geschäftsführer von MAN Truck & Bus Polska
AHK Polen: Wird eine Wende oder Untergang der Elektromobilität beobachtet? Wie ist das Wachstum der Elektromobilität in Polen? Was erwarten Ihre Kunden, sind sie darauf vorbereitet und bereit dafür zu zahlen? Wie reagiert darauf MAN?
Claus Wallenstein: Von einem Ende der Elektromobilität kann keine Rede sein. Der Markt für Elektrofahrzeuge in Polen und Europa wächst stetig. Bereits seit einigen Jahren ist ein starkes Wachstum im Segment der Stadtbusse und Transporter zu beobachten. Vor allem in diesem Jahr gibt es nun auch ein wachsendes Interesse an Lkw, sowohl im Verteilerverkehr als auch im Fernverkehr. Der Grund dafür ist, dass sowohl unsere Kunden als auch deren Kunden ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen wollen. Der völlig emissionsfreie und kohlendioxidneutrale Transport ist dabei einer der wichtigsten Hebel. Vergleicht man Polen mit anderen europäischen Ländern, so ist die Wachstumsdynamik der Elektromobilität in Polen leider schwächer ausgeprägt. Dafür gibt es mehrere Gründe, insbesondere die schwach entwickelte Ladeinfrastruktur. Die Anzahl der Ladepunkte in Polen ist bis zu etwa zehnmal geringer als in anderen westeuropäischen Ländern. Beispiele hierfür sind die Niederlande mit mehr als 160.000 Ladepunkten oder Deutschland mit mehr als 110.000 Ladepunkten. Im Vergleich dazu gibt es in Polen derzeit weniger als 4.000 Stationen und weniger als 8.000 Ladepunkte. Darüber hinaus gibt es noch kein effektives Subventionsprogramm, um den Kauf oder das Leasing von Elektrofahrzeugen zu fördern. Im Hinblick auf die Kundenerwartungen ist das Wichtigste, dass wir eine umfassende und detaillierte Beratung anbieten. Wir sprechen hier von einer 360-Grad-Analyse: Genauso wichtig wie die maßgeschneiderte Spezifikation der emissionsfreien MAN Trucks sind Streckenanalysen, die Auswahl und das Angebot der Ladeinfrastruktur in Kooperation mit unseren Partnern, die Unterstützung bei der Prüfung und Beantragung von Fördermitteln bis hin zu umfangreichen After-Sales-Services, Garantien, digitalen Dienstleistungen und beispielsweise auch die Rücknahme und gegebenenfalls das Recycling der Batterien. So stellen wir die Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Zuverlässigkeit einer emissionsfreien Transportlösung für unsere Kunden sicher.
AHK Polen: Wie ist die Zukunft von Fernverkehr? Kann sich ein eTruck bewähren?
CW: Der europäische „Green Deal“ definiert die Zukunft des Verkehrs als emissionsfrei. Wir als Nutzfahrzeughersteller stehen hier in der Pflicht und nehmen die Herausforderung an. Aber wir können es nicht alleine schaffen. Im Wesentlichen geht es um 3 Komponenten, für die wir die politischen Rahmenbedingungen brauchen und einfordern: Entsprechend attraktive Mautprogramme, die den Einsatz von Zero Emission Trucks belohnen, eine flächendeckende Ladeinfrastruktur mit Schnellladesäulen sowie die bereits erwähnten Förderprogramme für emissionsfreie Fahrzeuge.
Aber wir sind bereit! Unsere eTrucks überzeugen durch Fahrkomfort, flexible Ladekapazität und Reichweite.
AHK Polen: In Polen werden Busse und Lieferfahrzeuge mit elektrischem Antrieb von MAN hergestellt, ist hier auch eine Lkw-Produktion geplant?
CW: Die Serienproduktion der MAN eTrucks startet in unserem Werk in München. Es ist uns gelungen, Dieselfahrzeuge und eTrucks auf einer Fertigungslinie zu bauen. Das ist ein enormer Vorteil, der es uns ermöglicht, flexibel auf Marktschwankungen zu reagieren und die Anzahl der Montagestationen für Diesel-Lkw und eTrucks kontinuierlich anzupassen. Aufgrund der steigenden Nachfrage nach emissionsfreien Fahrzeugen wird das Werk Niepołomice auch auf die Produktion von MAN eTrucks umgestellt.
AHK Polen: Welche Rolle spielt Polen für den Konzern?
CW: Polen steht mit einem Anteil von ca. 20 % am Straßengüterverkehr in Europa an erster Stelle und ist einer der wichtigsten Märkte für MAN Truck & Bus weltweit. Mit rund 35.000 Neuzulassungen im Jahr 2023 ist der polnische Nutzfahrzeugmarkt einer der größten Lkw-Märkte in Europa. Bei der Anzahl der ausgelieferten MAN-Fahrzeuge liegen wir in Polen nach Deutschland weltweit an zweiter Stelle. Der Fernverkehr und das Flottenmanagement spielen dabei eine Schlüsselrolle. Ein sehr spezielles Geschäft ist aber auch die Herstellung von Aufbauten, zum Beispiel für Bau- oder Feuerwehrfahrzeuge, um nur zwei zu nennen. Hier punkten wir durch die hohe Qualität und erfolgreiche Kollaboration mit unseren Partnern, sowohl für den polnischen als auch die Export Märkte weltweit.
AHK Polen: Wie schätzen Sie die Entwicklung der Infrastruktur und des Ökosystems der Elektromobilitätsleistungen in Polen ein und decken sich diese Prozesse mit den Prozessen im Westen ab? Was tut MAN in diesem Bereich?
CW: Die Entwicklung der Infrastruktur und des Ökosystems für Elektromobilität ist eine der größten Herausforderungen in Polen. Die meisten Ladepunkte sind AC-Ladestationen, die für PKW bestimmt sind. Und auch die DC-Ladestationen, von denen es mehrere Tausend gibt, sind in der Regel nicht für das Laden von Lkw geeignet.
Die Ladeinfrastruktur für Lkw befindet sich erst im Aufbau. Aufgrund der hohen Ladeleistung, die laut AFIR-Anforderung mindestens 350 kW betragen muss, stellen die Kosten und vor allem die Zugänglichkeit des Stromanschlusses ein großes Hindernis dar. Die TRATON-Gruppe, zu der MAN gehört, ist Mitglied des Joint Ventures Milence - im Rahmen dieses Gemeinschaftsprojekts sollen in Europa 1.700 Ladepunkte für Lkw errichtet werden. Mit unserem weitverzweigten und umfangreichen Netz von Servicewerkstätten in Polen haben wir weiteres Potential Ladepunkt zur Verfügung zu stellen. Hier können wir als Hersteller allerdings, und ich spreche nun auch für meine Wettbewerbskollegen, nicht alleine das Ziel erreichen: Es braucht dazu sehr viel mehr öffentliches Investment, den politischen Willen und die entsprechenden Rahmenbedingungen um die notwendige Ladeinfrastruktur aufzubauen um die E-Mobilität zum Erfolg zu führen.
AHK Polen: AHK Polen organisierte im Juni die Jahreskonferenz für die automotive Branche. Die Experten suchten nach der Antwort, ob sich die Situation in der automotive Branche nach der Coronavirus-Pandemie und den Turbulenzen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine stabilisiert hat oder weiter vor großen Herausforderungen steht. Wie stehen Sie dazu?
CW: Die Lieferketten für die Produktion von Nutzfahrzeugen haben sich nach der Pandemie und dem kriegsbedingten Ausfall notwendiger Komponenten in der Ukraine wieder stabilisiert. Auch die Lieferzeiten für neue Lkw haben sich wie bei den Pkw normalisiert.
Auf der Kostenseite sind die Belastungen für unsere Kunden jedoch nach wie vor sehr hoch. Gleichzeitig haben sich die erzielbaren Preise im Transportmarkt nicht weiter nach oben entwickelt. Daher sehen wir europaweit ein schwächeres 1. Halbjahr 2024. Der Markt ist um über 15% zurückgegangen. Für das zweite Halbjahr rechnen wir mit einer leichten Erholung, hier hängt auch viel von der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und dem deutschen Transportmarkt ab.
Mit unserem MAN VAN hatten wir ein starkes erstes Halbjahr. Die neueste VAN-Generation wurde erst im Juni unseren Kunden und der Presse vorgestellt. Hier blicken wir sehr zuversichtlich auf den weiteren Jahresverlauf.
Im Reisebusgeschäft sehen wir nach der Pandemie ein sehr dynamisches Wachstum in der Bustouristik. Auch das Segment der Stadtbusse zeigt sich sehr stabil. Hier sind wir auch besonders stolz auf unsere Erfolge mit vollelektrischen, emissionsfreien Bussen. Insgesamt hat MAN bereits über 1000 BEV-Stadtbusse in Europa verkauft und ist damit Marktführer.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch erwähnen, dass sich unser Ersatzteil- und Servicemanagement sehr dynamisch entwickelt. Hier eröffnen wir neue Partnerwerkstätten und erweitern unser Netzwerk, um noch näher und effizienter bei unseren Kunden zu sein. "Customer First" „Zuerst kommt der Kunde“ ist schließlich unser Motto und für mich der entscheidende Schlüssel zum Erfolg.
AHK Polen: Wir danken Ihnen für das Gespräch.