Die Dekarbonisierung und das Erreichen von Klimaneutralität ist eine Herausforderung für die europäische Industrie, insbesondere für energieintensive Sektoren. Die mit diesem Prozess verbundenen Chancen und Gefahren sowie mögliche Bereiche der deutsch-polnischen Zusammenarbeit wurden im German Lounge Pavillon während des gerade zu Ende gegangenen Wirtschaftsforums in Karpacz diskutiert.
„Schritt in die Zukunft - neue Impulse für die deutsch-polnische Zusammenarbeit“ war das Motto des diesjährigen Auftritts der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen) und der Partner des German Lounge German Pavilion auf dem Forum.
Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, also einer Wirtschaft mit null Netto-Treibhausgasemissionen.
Dieses Ziel steht im Mittelpunkt des Europäischen Green Deals und ist durch das Europäische Klimagesetz rechtsverbindlich. Befürworter sehen den europäischen Kontinent als Vorbild für andere und glauben, dass er ein führender Player im Bereich der Ökotechnologie werden kann. Gleichzeitig wächst aber auch die Sorge um den Verlust von Industriezweigen und qualifizierten Arbeitsplätzen.
Podiumsdiskussion: Dekarbonisierung der Industrie: ein holpriger Weg zu Netto-Null?
Eine Diagnose des Stands der industriellen Dekarbonisierung in Polen und Deutschland und eine Antwort auf die Frage, ob es möglich sei, innerhalb des angenommenen Zeitrahmens Klimaneutralität zu erreichen, sowie die Frage nach den Auswirkungen des Green Deals auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie waren Gegenstand einer Podiumsdiskussion im deutschen Pavillon. Die Teilnehmer der Diskussion waren: Oliver Burrak, Chief Representative Poland, Handels- und Investitionsagentur des Landes Nordrhein-Westfalen, Katarzyna Byczkowska, CEO von BASF Polen und Präsidentin der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer, Piotr Ferszka, CEO von SAP Polen, Jarosław Kamiński, Rechtsanwalt, Partner, Rödl & Partner, Wojciech Kowalewski, Mitglied des Vorstands von Siemens Energy Polen und Agnieszka Wachnicka, Vizepräsidentin des Polnischen Bankenverbandes. Die Diskussion wurde von Aleksandra Stanek-Kowalczyk, EY, moderiert.
Seit der Einführung des Europäischen Green Deals habe sich die Welt grundlegend verändert, beeinflusst durch die Pandemie Covid 19 und den anhaltenden Krieg in der Ukraine, betonte Katarzyna Byczkowska, Geschäftsführerin von BASF Polen und Präsidentin der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer, bei der Eröffnung der Diskussion. Sie wies jedoch darauf hin, dass das Green Deal trotzdem grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird, da Veränderungen in den Unternehmensprozessen zur Erreichung der Klimaneutralität unumgänglich sind. Die Teilnehmer wiesen darauf hin, dass sie in der gegenwärtigen Situation eine Notwendigkeit sind. Die Frage sei also nicht, ob, sondern wann Europa der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werde, betonten sie. Auch wenn die Umsetzung des Green Deals mit Kosten verbunden ist, sollte der Plan weiterverfolgt werden und die im Rahmen des Green Deals ergriffenen Maßnahmen sollten als Investition in die Zukunft gesehen werden. Ein Ausbleiben des Wandels würde bedeuten, dass Europa langfristig an Wettbewerbsfähigkeit verlieren würde.
„Wir müssen die richtige Infrastruktur schaffen und Unternehmen mit grüner Energie versorgen, sonst verlassen sie uns“, betonte Oliver Burrak, Polen-Beauftragter der Wirtschaftsförderungsgesellschaft NRW. Eine grüne Industrie, die auf grüner Energie basiert, ist jedoch nur eine Vision der Zukunft. Derzeit ist das Angebot an grüner Energie noch unzureichend, so dass einige Unternehmen versuchen, ihre eigenen Energiequellen zu erschließen. Wojciech Kowalewski, Mitglied des Vorstands von Siemens Energy Polska, wies darauf hin, dass Hybridlösungen derzeit optimal seien.
Die Diskussionsteilnehmer betonten auch, dass das Erreichen der Kohlenstoffneutralität einen umfassenden Ansatz erfordert, der die Einführung geeigneter Vorschriften und die Festlegung einer Strategie einschließt. Innovationen in den Bereichen erneuerbare Energien, Wasserstofftechnologien sowie effizientes Energiemanagement werden für die Industrie notwendig sein, um die Emissionen ohne Effizienzverluste zu reduzieren. Derzeit sind viele Technologien bereits weit fortgeschritten, andere werden noch entwickelt, z. B. im Bereich der Wasserstoffnutzung. Ein Hindernis sei jedoch nach wie vor die unzureichende Versorgung mit Wasserstoff, die seine Nutzung als Energiequelle in größerem Umfang behindert.
Die Treibhausgasemissionen hängen von einer Reihe von Faktoren ab, z. B. von der Branche, der Unternehmensgröße und dem Standort der Betriebe. Dies erfordert auch eine spezifische Auswahl von Maßnahmen zu ihrer Verringerung. Um die Maßnahmen zur Emissionsreduzierung zu optimieren, wird eine Reihe von technologischen Lösungen entwickelt, darunter auch solche, die Unternehmen dabei unterstützen, ihren Kohlenstoff-Fußabdruck zu ermitteln. Während des Panels diskutierten die Gesprächspartner von Aleksandra Stanek-Kowalczyk, ob Einheitslösungen in diesem Bereich sinnvoll sind und ob man ihnen vertrauen kann. Die Diskussion berührte auch die Übergangsfinanzierung und die so genannte grüne oder nachhaltige Finanzierung.
Abschließend versuchten die Teilnehmer der Diskussion zu prognostizieren, wie die Industrie im Jahr 2040 aussehen wird. Alle Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass die Priorität darin besteht, die Industrie zu erhalten und sicherzustellen, dass sie in Europa weiter wachsen und wettbewerbsfähig bleiben kann. Sie räumten auch ein, dass das Erreichen von Nullemissionen möglich sei, dass aber vielleicht der von der Europäischen Union vorgegebene Zeitrahmen flexibler betrachtet werden sollte. Piotr Ferszka, CEO von SAP Polen, wies darauf hin, dass „eine Vision ohne Umsetzung nur eine Halluzination sei". „Wir haben die Vision bereits, aber damit sie keine Halluzination bleibe, brauchen wir Vorschriften, Technologie und Umsetzung“, betonte Ferszka. Teilweise wurden bereits Regulierungen geschaffen, andere sind in der Entwicklung, wir haben auch die Technologien, jetzt geht es darum, die entsprechenden Schritte zu unternehmen, damit der Green Deal effektiv umgesetzt werden kann. Auf dem Weg zu diesem Ziel, so die Diskussionsteilnehmer, liegen jedoch noch viele Herausforderungen vor der Wirtschaft.
Das Wirtschaftsforum ist die größte Begegnungsplattform in Mittel- und Osteuropa, auf der nicht nur Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven, aktuelle Herausforderungen und Krisenmanagement diskutiert, sondern auch konkrete Lösungen und innovative Ideen vorgestellt werden. Die diesjährige Veranstaltung zog mehr als 5.000 Teilnehmer an. Das Forum ist ein besonderer Treffpunkt für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entscheidungsträger.