Polen und Nordrhein-Westfalen: enge Wirtschaftspartnerschaft mit Zukunftsperspektiven
Interview mit Felix Neugart, CEO von NRW.Global Business
Zwischen Nordrhein-Westfalen und Polen herrscht ein reger wirtschaftlicher Austausch, und das nicht nur, weil jeder vierte in Deutschland ansässige Pole in Nordrhein-Westfalen lebt.
Felix Neugart, Geschäftsführer der landeseigenen Gesellschaft zur Außenwirtschaftsförderung NRW.Global Business, erklärt, wie es um die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern steht und wo die Reise hingehen könnte.
Herr Neugart, welche Bedeutung hat Polen für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen?
Felix Neugart: Die engen Beziehungen zwischen Polen und Nordrhein-Westfalen haben eine historische Basis. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sind viele Polen in unser Bundesland ausgewandert. Mittlerweile lebt jeder vierte in Deutschland beheimatete Pole in Nordrhein-Westfalen, das sind immerhin 216.000 Menschen. Mit der Woiwodschaft Schlesien, die seit 2000 unsere Partnerregion ist, freuen wir uns über einen besonders aktiven Austausch. So ist Polen auch ein sehr wichtiger Partner geworden für Nordrhein-Westfalen als bedeutendste Wirtschaftsregion Deutschlands. Polen ist unser sechstgrößter Handelspartner – nur knapp hinter den USA und sogar vor Großbritannien. Das Handelsvolumen betrug im Jahr 2020 19,5 Milliarden Euro. Die Zusammenarbeit hat sich in den zurückliegenden Jahren enorm vertieft, vor allem bei Themen wie der digitalen Transformation und Industrie 4.0 können wir viel voneinander lernen.
Das klingt, als hätte Nordrhein-Westfalen als Standort für polnische Unternehmen eine Menge zu bieten. Können Sie das konkretisieren?
Felix Neugart: Nordrhein-Westfalen ist das wirtschaftliche Herz Deutschlands und für internationale Unternehmen mit Abstand der Investitionsstandort Nummer eins in der Bundesrepublik. Rund 20.000 ausländische Firmen haben sich bei uns schon niedergelassen, darunter Global Player wie 3M, BP, Ericsson, Ford, Huawei, QVC, UPS, Toyota oder Vodafone. Dafür sorgt zum einen die zentrale Lage in Europa und eine leistungsstarke Verkehrsinfrastruktur. Nordrhein-Westfalen ist ein großartiger Ausgangspunkt für alle Unternehmer, die Deutschland oder sogar Europa erobern wollen. Zum anderen finden sie in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland ein herausragendes Marktpotential. Allein in einem 500 Kilometer Radius um Düsseldorf leben 160 Millionen Menschen, das sind fast ein Drittel der Verbraucher der EU. Außerdem bietet das Land durch die hohe Dichte an Industrie- und Handelsfirmen zahlreiche B2B-Kunden und Kooperationspartner. Mit über 700.000 KMU ist bei uns sowohl ein starker unternehmerischer Mittelstand beheimatet als auch mehr als ein Drittel der 50 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands. Zusätzlich bringen die 68 Hochschulen des Landes jedes Jahr viele junge hochqualifizierte Fachkräfte hervor und sind damit auch wichtiger Innovationsmotor. Junge und etablierte Unternehmen treiben – flankiert von einer breiten Forschungslandschaft – Zukunftsthemen wie die Digitalisierung oder die Energiewende voran und bereichern den Markt mit neuen Geschäftsmodellen, Dienstleistungen und Produkten. Für internationale Unternehmen ergeben sich so zahlreiche Anknüpfungspunkte sowie Kunden- und Kooperationspotenziale. Und gerade für polnische Unternehmen sind natürlich auch die geografische und kulturelle Nähe sowie unser breites polnisches Netzwerk vor Ort in Nordrhein-Westfalen wichtige Faktoren bei der Standortentscheidung.
In welchen Bereichen sehen Sie in der Zukunft Chancen für NRW-Unternehmen in Polen?
Felix Neugart: Ein allgemeiner Trend, der aber auch in Polen eine zentrale Rolle spielt, sind sicherlich Projekte im Rahmen der grünen Energiewende bzw. im Bereich der erneuerbaren Energien. Hier tun sich auch für NRW-Unternehmen neue Perspektiven bei der Internationalisierungsstrategie auf. Das klingt vielleicht ein bisschen überraschend, weil Polen ja als das Kohleland schlechthin gilt, aber da bewegt sich gerade was und der Markt öffnet sich immer mehr für Wind- und Solarprojekte. Außerdem ist Polen innerhalb der EU der drittgrößte Wasserstoffhersteller und plant, in Zukunft mehr Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen herzustellen. Dafür will das Land bis 2030 noch einmal 2,4 Milliarden Euro investieren. Da werden sich in Zukunft sicher auch aussichtsreiche Markt- und Kooperationspotentiale für Unternehmen aus dem Energieland Nordrhein-Westfalen ergeben.
Kennen Sie Erfolgsgeschichten polnischer Unternehmen in NRW?
Felix Neugart: Erfolgsgeschichten gibt es viele, schließlich haben sich mittlerweile bereits über 300 polnische Unternehmen in Nordrhein-Westfalen angesiedelt, darunter große Firmen wie Azoty, Impel, Nowy Styl, Sanplast, Telefonika oder Wielton. Aktuell sind gerade die IT- und Logistikbranche sehr an Expansion interessiert. So hat zum Beispiel die MLP Group bereits an zwei Standorten in Nordrhein-Westfalen ihre Logistikparks entwickelt und ist weiter auf Wachstumskurs. Wir blicken momentan aber auch auf viele Neuankömmlinge aus dem Hightech-Bereich, wie Saule Technologies – ein führendes Unternehmen in der Kommerzialisierung von Perowskit-Solarzellen – oder das Startup Nevomo, das sich mit Hyperloop-Technologie und der Entwicklung von Magnetschwebebahnen beschäftigt. Diese Investitionen in Zukunftsthemen beweisen, dass polnische Firmen nicht nur in der klassischen verarbeitenden Industrie eine Rolle spielen. Auf der anderen Seite ist Polen natürlich, wie schon erwähnt, auch ein attraktiver Wachstumsmarkt für Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen. So hat sich beispielsweise die Firma ISRINGHAUSEN aus Mönchengladbach, ein Mitglied der AUNDE Group, entschieden, in Ujazd eine neue Fabrik in Betrieb zu nehmen. NRW.Global Business hat den Spezialisten für innovative Sitzsysteme und technische Federn bei diesem Expansionsschritt begleitet, in enger Zusammenarbeit mit der AHK Polen, der Polish Investment and Trade Agency sowie der Kattowitzer Sonderwirtschaftszone.
Welchen Support leistet hier NRW.Global Business?
Felix Neugart: NRW.Global Business unterstützt zum einen polnische Firmen mit ihren Wachstumsprojekten oder Ansiedlungsplänen in NRW. Wir stehen den Unternehmen als landeseigene Gesellschaft zur Außenwirtschaftsförderung während des gesamten Prozesses zur Seite. Seit 2016 sind wir in Polen mit einem Büro in Warschau präsent und können so die Unternehmen direkt vor Ort begleiten. Schon während der Analyse- und Planungsphase stellen wir den Unternehmen unser Expertenwissen und ein etabliertes Netzwerk aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung zur Verfügung. So ist ein guter Start in NRW gesichert. Auf der anderen Seite unterstützt NRW.Global Business auch unsere heimischen NRW-Wirtschaft bei der Erschließung internationaler Märkte – darunter eben auch Polen. Zum Beispiel veranstalten wir regelmäßig Unternehmerreisen zu bestimmten Branchen oder Zukunftsthemen, um Firmen den Eintritt in die ausländischen Märkte zu erleichtern. Mithilfe von gezielten Matchmaking- und Kooperationsveranstaltungen können sie vor Ort ihr Netzwerk aufbauen und neue Expansionsziele verfolgen.