Die umfassende Stärkung der Sicherheit der Europäischen Union ist das Hauptziel des Programms der polnischen EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Januar 2025 begonnen hat.
Polen hat sieben vorrangige Aktionsbereiche für die nächsten sechs Monate festgelegt: äußere, innere, Informations-, Wirtschafts-, Energie-, Lebensmittel- und Gesundheitssicherheit. Alle diese Bereiche werden in einem breiten und vielschichtigen Rahmen behandelt, wobei jeder von ihnen auch eine direkte oder indirekte wirtschaftliche Dimension und somit Einfluss auf die europäischen Unternehmen hat.
„Die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union in einem schwierigen Moment für Europa ist eine große Herausforderung und gleichzeitig eine besondere Chance für Polen“, sagt Lars Gutheil, Geschäftsführer der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen). „Die europäische Wirtschaft braucht angesichts der konjunkturellen und geopolitischen Herausforderungen neue Wachstumsimpulse. Gemeinsames Handeln und eine enge Zusammenarbeit innerhalb der EU erhöhen die Möglichkeiten und das Wettbewerbspotenzial der europäischen Wirtschaft im globalen Maßstab. Bessere Nutzung der Synergien innerhalb der Union fördert auch das Erreichen der ehrgeizigen Ziele für das Innovationswachstum.“, fügt Gutheil hinzu.
Prioritäten der polnischen Ratspräsidentschaft
Für die Wirtschaft des Kontinents ist ein sicheres Geschäftsumfeld von entscheidender Bedeutung. Dazu müssen die Verteidigungskapazitäten der Gemeinschaft gestärkt und die Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit Europas in Bereichen von strategischer Bedeutung ausgebaut werden. Es wird notwendig sein, die Mittel für die Verteidigungsanstrengungen auf der Ebene der gesamten Union aufzustocken, aber auch die Produktionskapazität der Verteidigungsindustrie auf koordinierte Weise in der gesamten EU zu erhöhen.
Magdalena Sobkowiak-Czarnecka, Unterstaatssekretärin in der Kanzlei des Premierministers, die die polnische EU-Ratspräsidentschaft koordiniert, betont, dass die Stärkung der äußeren Sicherheit auch eine sichere Nachbarschaft einschließen und somit auf die EU-Erweiterung hinarbeiten sollte, nicht nur im Zusammenhang mit der Ukraine, sondern auch mit den westlichen Balkanstaaten. Sobkowiak-Czarnecka ist der Ansicht, dass die polnische Präsidentschaft die erste Runde der Beitrittsgespräche mit der Ukraine eröffnen sollte, doch ist für eine solche Entscheidung Einstimmigkeit erforderlich.
Zur inneren Sicherheit gehört die in vielen Ländern diskutierte Frage der Beschränkung der Migration in die EU. Jüngste Erfahrungen zeigen, dass die Migration als Instrument der hybriden Kriegsführung eingesetzt werden kann. In wirtschaftlicher Hinsicht kann dieser Bereich jedoch langfristig eine ernsthafte Herausforderung darstellen, da die Arbeitskräfteressourcen auf dem gesamten Kontinent aufgrund der demografischen Trends schrumpfen. Die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen, einschließlich solcher, die durch Naturkatastrophen verursacht werden, die Stärkung der zivilen Widerstandsfähigkeit und die Unabhängigkeit von externen Rohstoffquellen sind weitere Aspekte des Aufbaus der inneren Sicherheit, die als Ziele formuliert werden.
Wirtschaftliche Agenda
Aus wirtschaftlicher Sicht muss die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen wiederhergestellt und gestärkt werden, was durch eine Vereinfachung der Rechtsvorschriften und einen Abbau der Bürokratie unterstützt wird, betone man in Polen. Die Gewährleistung einer stabilen und vorhersehbaren Gesetzgebung sollte die Unternehmen ermutigen, wieder in Europa zu investieren und somit wertvolle Arbeitsplätze zu schaffen. Die Schaffung eines wettbewerbsfähigen Energiemarktes und ein stabiler Zugang zu billiger Energie auf der Grundlage erneuerbarer Quellen sind ebenfalls notwendig, um diesen Prozess zu unterstützen.
Sowohl Vertreter der Industrie als auch der Landwirtschaft weisen auf die Notwendigkeit hin, den Green Deal im Zusammenhang mit den globalen Herausforderungen zu überprüfen. Ein wichtiger Aspekt werden Maßnahmen zum Schutz der Industrie in Europa sein, einschließlich energieintensiver Industrien, im Rahmen des „Clean Industrial Deal“. Die polnische Ratspräsidentschaft möchte in diesem Kontext einen Plan entwickeln, um den hohen Energiepreisen entgegenzuwirken, die regulatorischen Belastungen zu reduzieren und den Zugang zu grünen Technologien zu fördern, die eine Dekarbonisierung ermöglichen. Die Arbeit an Instrumenten zur Bekämpfung von Fake News und Klima-Desinformation, die die Energie- und Klimapolitik der EU in Frage stellen, sei ebenfalls eine der Prioritäten.
Im digitalen Bereich wird sich die Präsidentschaft auf Cybersicherheit, künstliche Intelligenz, die kohärente Umsetzung bereits bestehender Vorschriften und die Entwicklung von Beziehungen zu anderen Ländern, auch außerhalb Europas, konzentrieren, da die Technologie global entwickelt wird. „In Europa brauchen wir eine Vereinfachung der Verfahren, einen gemeinsamen digitalen Markt und strategische Investitionen in Technologie, insbesondere in KI“, sagt der stellvertretende Minister für Digitalisierung, Dariusz Standerski, über den Ratsvorsitz.
Kontinuität und neue Impulse
Polen wird zum zweiten Mal den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernehmen - dreizehn Jahre nach der ersten polnischen Präsidentschaft und zwanzig Jahre nach dem Beitritt zur EU. Die Zeit zwischen den beiden Präsidentschaften war für Polen eine Zeit eines beachtlichen Wirtschaftswachstums. Die polnischen Erfahrungen können somit einen wichtigen Beitrag zur Formulierung künftiger Strategien der Union in vielen Bereichen leisten.
„Seit einiger Zeit beobachten wir, dass sich das Zentrum Europas nach Osten verlagert. Polen spielt als starke und innovative Wirtschaft eine immer wichtigere Rolle in der Union. Indem es die Arbeit der Europäischen Union in den nächsten sechs Monaten anführt, hat es die Chance, seine Position zu stärken und Aktionen zu initiieren, die den traditionellen Leadern Europas, wie Frankreich und Deutschland, die in politischen und wirtschaftlichen Krisen stecken, neue Impulse zur Veränderung geben können“, fügt Gutheil hinzu.
Im Rahmen der polnischen Präsidentschaft sind internationale Konferenzen zu den europäischen Säulen der Sicherheit geplant. Eine davon, die der Energiesicherheit gewidmet ist, wird im Rahmen des Europäischen Wirtschaftskongresses (23.-25. April 2025) in Kattowitz stattfinden und unter dem Motto „Gemeinsam für eine sichere Zukunft“ stehen. An dem Kongress wird auch die Deutsch-Polnische Industrie- und Handelskammer teilnehmen, die der deutsch-polnischen Wirtschaft seit Jahren ein Forum für den aktiven Meinungs- und Erfahrungsaustausch im Bereich der internationalen Geschäftsbeziehungen bietet.
Neuer institutioneller Zyklus der EU
Die polnische Ratspräsidentschaft fällt auch mit dem Beginn des neuen institutionellen Zyklus in der EU zusammen, der die Gelegenheit bietet, Ziele zu setzen, Lösungen vorzuschlagen und Prozesse für die nächsten fünf Jahre einzuleiten. Gleichzeitig beginnt die Diskussion über die Gestaltung des künftigen Finanzrahmens und die Grundlagen des EU-Haushalts für den Zeitraum 2028-2034. In diesem Zusammenhang werden u. a. die derzeitigen Grundsätze für die Gewährung von Mitteln im Rahmen der Kohäsionspolitik und die weitere Unterstützung der Regionen analysiert. Polen, das erfolgreich ein dezentralisiertes Modell umsetzt, das auf einer engen Zusammenarbeit mit den regionalen Selbstverwaltungen basiert, befürwortet die Entwicklung solcher Lösungen in der erneuerten Kohäsionspolitik und wird einen derartigen Ansatz in der Diskussion über ihre Optimierung fördern. Polen ist der Ansicht, dass es notwendig sei, die Wettbewerbsfähigkeit Polens und Europas durch Investitionen in kleine und mittlere Unternehmen, in große Metropolen, aber auch in kleinere Ortschaften und Regionen, die ihr Potenzial noch entwickeln, zu stärken. Die regionale Verwaltung der europäischen Fonds erhöht nach Ansicht Polens deren effektive Nutzung. Die neue Haushaltsperspektive wird auch eine Neudefinition bestehender Förderziele, wie z. B. der Agrarpolitik, und eine Neuausrichtung der Mittel auf Bereiche wie die Verteidigung oder den Aufbau paneuropäischer industrieller Führungspositionen beinhalten.
Weitere Informationen zum polnischen Ratsvorsitz: polish-presidency.consilium.europa.eu.