Wirtschaftsnachrichten
Neues aus der AHK Polen

Der demografische Wandel bedroht das Entwicklungspotenzial Polens

28.10.2024

Die demografische Entwicklung in Polen ist für die Wirtschaft zunehmend ungünstig.

In den nächsten zehn Jahren könnten bis zu 2,1 Millionen Menschen den Arbeitsmarkt verlassen, was 12,6 % der derzeitigen Beschäftigung entspricht. Die prognostizierten Veränderungen bei der Beschäftigung in einzelnen Wirtschaftssektoren, insbesondere in der Industrie, könnten bei Beibehaltung anderer Variablen auf dem derzeitigen Niveau einen Rückgang des polnischen BIP um bis zu 6-8 % bedeuten. Solche Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Bericht des Polnischen Wirtschaftsinstituts (PIE) mit dem Titel Folgen des demografischen Wandels für das Arbeitskräfteangebot in Polen“, der im Oktober vorgestellt wurde.

Arbeitnehmer im Alter von 50-59/64 Jahren hatten im Jahr 2023 ein Viertel aller Beschäftigten in Polen ausgemacht - das sind 4,2 Millionen Menschen. Menschen aus dieser Gruppe sind im Vergleich zu anderen Alterskohorten häufiger im öffentlichen Sektor beschäftigt (31 Prozent) und sind häufiger selbständig - dies ist die Generation der Pioniere des polnischen Unternehmertums unter den Bedingungen des freien Marktes. In der Privatwirtschaft sind 21 % der Personen dieser Gruppe beschäftigt. PIE schätzt, dass der polnische Arbeitsmarkt bis zum Jahr 2035 aufgrund des demografischen Prozesses um 2,1 Millionen Beschäftigte schrumpfen wird, was 12,6 Prozent der derzeitigen Beschäftigung entspricht.

Die verschiedenen Wirtschaftszweige werden vom demografischen Wandel in unterschiedlichen Maße betroffen sein:

- Im Bildungssektor wird die Zahl der Beschäftigten um 29 Prozent gegenüber dem heutigen Bestand sinken, das sind 361.000 Personen,

- die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen wird um 23 Prozent gegenüber der heutigen Beschäftigungssituation sinken, das sind 257.000 Personen, und

- die Zahl der Beschäftigten in der Industrie wird im Vergleich zur derzeitigen Beschäftigungssituation um 11 % zurückgehen, d. h. um 400.000 Personen.

Die Autoren des Berichts betonen, dass Polen seit der politischen Wende bis etwa 2013 von der sogenannten demografischen Dividende profitiert hat. Der Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung blieb hoch und wies einen Aufwärtstrend auf. Dies bedeutete eine hohe Verfügbarkeit von Arbeitskräften für die schnell wachsende Wirtschaft. Dieser Faktor trug wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg Polens in den ersten beiden Jahrzehnten der Transformation bei. In den letzten Jahren sah sich die polnische Wirtschaft mit der Herausforderung einer umgekehrten demografischen Dividende konfrontiert. Seit 2013 schrumpft die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter allmählich und gleichzeitig steigt die Zahl der Menschen im nachberuflichen Alter.

Die negative demografische Entwicklung betrifft die gesamte Europäische Union, aber Polen ist davon besonders betroffen: das Land ist (zusammen mit Spanien) das Schlusslicht in Bezug auf die Fruchtbarkeitsrate auf dem Kontinent. Laut Eurostat (2024) verzeichnete Polen mit 1,12 seine bisher niedrigste Fruchtbarkeitsrate (TFR) (eine Fruchtbarkeitsrate von über 2 ist für die sogenannte Ersatzfruchtbarkeit erforderlich). Im Vergleich zu 2015 verzeichnete das Land außerdem einen der größten Rückgänge der Fruchtbarkeits- und Geburtenrate weltweit (nur Südkorea hat eine niedrigere Fruchtbarkeitsrate). Unter den großen europäischen Ländern hat Frankreich die höchste Rate (1,63) und liegt damit ebenfalls deutlich unter dem Ersatzwert. Die Prognosen deuten jedoch darauf hin, dass der Rückgang der Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter - sowohl nominal als auch im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung - in Polen viel stärker ausfallen wird als im EU-Durchschnitt. Derzeit ist der Zugang zur Erwerbsbevölkerung in vielen Regionen Polens noch relativ leichter als beispielsweise in Deutschland, aber die demographische Entwicklung bereitet den Unternehmen große Sorgen.

Schätzungen zufolge verschwinden jährlich etwa 150.000 Menschen vom polnischen Arbeitsmarkt. Nach Angaben der Regierung, die im „Berufsbarometer“ veröffentlicht wurden, gibt es bereits einen Mangel an Arbeitskräften in fast 30 wichtigen Fachbereichen. Unternehmer stellen zunehmend Arbeitskräfte aus dem Ausland ein, und Arbeitgeberverbände argumentieren, dass die einzige Möglichkeit, das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten, darin bestehen könnte, bis zu 200.000 Arbeitskräfte ins Land zu holen.

Bislang hat der Zustrom ausländischer Arbeitskräfte, einschließlich der Menschen aus der Ukraine nach 2014 (rund eine Million Einwanderer), den polnischen Arbeitsmarkt und das Sozialversicherungssystem (ZUS) gestützt und dazu beigetragen, die negativen Auswirkungen des demografischen Wandels auszugleichen. Jüngste Daten zeigen jedoch, dass diese Ressourcen zur Neige gehen. Im Jahr 2023 betrug der Anstieg der Zahl der im Sozialversicherungssystem (ZUS) registrierten Ausländer im Vergleich zum Vorjahr nur 6 Prozent, während der durchschnittliche jährliche Anstieg zwischen 2016 und 2022 30 Prozent betrug.

Der Bericht liefert eine eingehende Analyse der demografischen Situation und ihrer Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums und benennt die wichtigsten Herausforderungen und möglichen Gegenmaßnahmen.

Dazu gehört die Erschließung der vorhandenen Reserven auf dem Arbeitsmarkt durch die Aktivierung von nicht erwerbstätigen Gruppen wie jungen Menschen zwischen 20 und 24 Jahren, Menschen mit Behinderungen sowie jungen Müttern und Personen, die andere Familienmitglieder pflegen. In diesen Bereichen weicht Polen vom europäischen Durchschnitt ab. Zum Beispiel kombinieren in Polen nur 14 % der 20- bis 24-Jährigen Arbeit und Studium, verglichen mit einem EU-Durchschnitt von 21 %. Ähnlich verhält es sich bei Menschen mit Behinderungen: In Polen sind nur 34,3 % dieser Personen erwerbstätig, während der EU-Durchschnitt bei 55 % liegt (die Erwerbstätigkeit von Menschen ohne Behinderungen schwankt in beiden Fällen um 73-74 %). Eine breitere Nutzung flexibler Arbeitsformen würde darüber hinaus etwa eine Million Menschen in den Arbeitsmarkt bringen.

Reserven gibt es auch bei der Steigerung der Produktivität, der Intensivierung von Automatisierungs- und Robotisierungsprozessen. Hier hat Polen einen großen Nachholbedarf: Auf 10 000 Beschäftigte entfallen 54,6 Roboter (europäische Spitzenreiter sind um ein Vielfaches mehr: Deutschland - 256 Roboter, Schweden 297,6). Die polnischen Unternehmen sind jedoch recht zurückhaltend in ihrer Risikobereitschaft und ihren Plänen zur Geschäftsausweitung.

Eine gut geplante und umgesetzte Migrationspolitik könnte ebenfalls Unterstützung bieten. Eine Diskussion zu diesem Thema ist jetzt eingeleitet worden, und die Unternehmer erwarten eine rasche Unterstützung in dieser Hinsicht. Nach Angaben der Sozialversicherungsanstalt (ZUS) müsste die Zahl der in Polen arbeitenden Ausländer bis 2033 um mehr als 2,6 Millionen steigen, um das derzeitige Niveau der demografischen Belastung zu halten.

Die vollständige Fassung des Berichts des Polnischen Wirtschaftsinstituts ist auf der Website des Instituts unter folgendem Link verfügbar: https://pie.net.pl/.